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Rechtsanwalt Karsten Schönfeld * bringt für Sie und uns ein wenig Licht ins Dunkel:

Für den einzelnen ist es oft sehr verwirrend, bei der Krankenkasse um eine Erstattung zu ersuchen. Hier sollte man von vorne herein Fehler vermeiden, die dazu führen, dass die jeweilige Kasse unter Umständen die Erstattung verweigert.

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elke - medizinischer Haarersatz ®  hat für Sie hierzu (Sachstand Nov.2018) den in Sachen "Haarersatz und Recht" bundesweit renommierten Rechtsanwalt Karsten Schönfeld befragt.

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Herr Schönfeld, wie sollten Betroffene vorgehen, wenn die Kosten für eine Perücke oder anderen Haarersatz von der Krankenkasse erstattet werden sollen?

 

RA Schönfeld:

Sehr, sehr wichtig ist auf jeden Fall die Einhaltung des sog. Versorgungsweges. Wird hier ein Fehler gemacht, so sind alle Möglichkeiten, eine nachträglich höhere Kostenerstattung von der Kasse zu bekommen, bereits verloren, bevor überhaupt ein Widerspruch erhoben werden kann.

 

Können Sie bitte erklären, wie dieser Versorgungsweg aussieht?

 

RA Schönfeld:

Wichtig ist die Einhaltung folgender zeitlicher Reihenfolge:

Erst das Rezept vom Arzt holen (von uns ergänzt: Hier auch auf den Inhalt achten, siehe Info "Haarersatz auf Rezept") und es mit dem Angebot eines Zweithaarspezialisten der Kasse zur Genehmigung einreichen oder vom Hilfsmittellieferanten direkt auf elektronischem Wege einreichen lassen. Dann auf jeden Fall zunächst die Reaktion der Kasse abwarten, bevor man sich mit dem Haarersatz versorgt. Die Kasse muss im Normalfall nach 2 Wochen, spätestens aber nach 5 Wochen, sofern der MDK (ergänzt: Medizinischer Dienst der Krankenkassen) eingeschaltet wird, reagieren. Ansonsten gilt das Angebot in voller Höhe als genehmigt. Dies nennt  man dann Genehmigungsfiktion.

 

Aber was ist nun ratsam, wenn die Krankenkasse nicht den vollen Betrag erstatten will?

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RA Schönfeld:

Wenn die Kasse die Kosten für das jeweils im individuellen Fall notwendige Hilfsmittel nicht abzüglich des derzeitigen Eigenanteils iHv € 10,00 in voller Höhe übernimmt, egal ob sie ihre Bewilligung nun eine „Teilerstattung“, einen „Kostenanteil der Kasse“, einen „Festpreis“ oder einen „gesetzlichen Zuschuss“ nennt, ist Vorsicht geboten. All diese Dinge gibt es nach derzeitiger Rechtslage (Stand Nov.2018) für den Versicherten nämlich nicht. 

Die zwischen vielen Kassen und Hilfsmittellieferanten geschlossenen Verträge und ggf. vereinbarten Preise binden immer nur die Vertragsparteien selber, nicht aber unmittelbar auch den Versicherten. Er hat einen gesetzlich verankerten Anspruch auf das Hilfsmittel „Haarersatz“. Und der muss zweckmäßig, zum Behinderungsausgleich ausreichend und wirtschaftlich sein. Nach derzeit aktueller Rechtsprechung des obersten deutschen Sozialgerichts (BSG) haben betroffene Frauen ggü. ihrer Krankenkasse sogar grundsätzlich Anspruch auf einen Echthaarersatz (BSG B 3 KR 3/14 R).

Festbeträge nach dem Motto „maximal bis hier und nicht weiter“ sieht das Gesetz für Haarersatz daher zumindest derzeit nicht vor, auch wenn einige Kassen gerne diesen Eindruck in ihren Bewilligungen vermitteln möchten. Doch Vorsicht: Viele Verträge sehen inzwischen vor, dass sich  der Hilfsmittellieferant vom Versicherten eine Mehrkostenvereinbarung unterschreiben lässt, in der der Versicherte sich mit dem etwaigen Vertragspreis einverstanden erklärt und auf weitere Ansprüche ggü. seiner Kasse verzichtet. Mehrkostenerklärungen dieses Inhaltes sind m.E. rechtlich weder haltbar noch zulässig, sofern zu den Vertragspreisen aufzahlungsfrei kein ausreichendes und zweckmäßiges Hilfsmittel erhältlich ist und sollten vom Versicherten nicht unterschrieben werden. Weder ein Vertrag zwischen Kasse und Lieferant kann den Versicherten wie gesagt hierzu rechtswirksam verpflichten, noch können Kasse oder Lieferant eine derart rechtsverkürzende Erklärung vom Versicherten einfordern. Ggü. dem Versicherten gilt das Gesetz und nicht der Vertrag. 

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Wie kann man sich nun aber wehren, wenn man mit einem Teilbetrag nicht einverstanden ist?

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RA Schönfeld:

Krankenkassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die (Teil)Bewilligung (in einigen Fällen wird der Haarersatz sogar komplett verweigert, dann spricht man natürlich von „Ablehnung“) ist daher ein sog. Verwaltungsakt. Die gesetzliche Krankenkasse handelt hier hoheitlich, also dem Versicherten gegenüber wie z.B. eine Behörde.

Gegen einen solchen Verwaltungsakt ist das Rechtsmittel des Widerspruchs gegeben. Diesen kann grundsätzlich der Versicherte im Rahmen der zu beachtenden Fristen selbst gegenüber seiner Kasse einlegen, ohne eine rechtliche Vertretung hinzuziehen zu müssen. Er kann sogar selber vor dem Sozialgericht erster Instanz gegen die Kasse klagen, ohne anwaltlich vertreten zu sein. Der sog. Anwaltszwang gilt erst ab der zweiten Instanz vor dem Landessozialgericht.

In der Regel wird es dem einzelnen Versicherten jedoch schwer fallen, seinen Widerspruch oder gar eine etwaige selbst bei Gericht eingereichte Anfechtungs- und/oder Leistungsklage derart fundiert und stichhaltig zu begründen, dass er evtl. sogar bereits im Widerspruchsverfahren seiner Kasse klar macht, es speziell hier „besser zu wissen“ als die jeweiligen Sachbearbeiter. Letztere scheinen häufig leider, zum Teil selbst in evident rechtswidrigen Fällen, auf seltsam und wunderbare Weise von der gesetzlichen Richtigkeit ihres Tuns oder auch Unterlassens völlig überzeugt. Meist wird bei den Kassen scheinbar nach "internen Vorschriften" gearbeitet, denen wohl leider nicht immer der ganze Gesetzeswortlaut oder die hierzu ergangene Rechtsprechung zugrunde liegt. Man könnte manchmal fast meinen frei nach dem Motto "Von hundert wehren sich nur fünf".  

Aber ab hier wird es - wie gesagt - natürlich auch für den Versicherten sehr schwierig, rechtlich exakt zu argumentieren, sofern er Laie ist. Dies oftmals umso mehr, da ihn in der Regel ja auch ganz andere - mit dem Haarverlust oder sogar einer damit einhergehenden Krankheit verbundene - Probleme beschäftigen. Doch Argumentationen auf rein persönlicher Ebene über die täglichen Probleme mit schlechtem Haarersatz zählen vor Gericht leider nicht immer.

Auch hier gilt: Mitleid bekommt man geschenkt, um sein Recht muss man kämpfen!

 

Herr Schönfeld, was raten Sie Betroffenen abschließend?

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RA Schönfeld:

Mein Rat an dieser Stelle:

Sollten Versicherte mit der Entscheidung ihrer Kasse nicht einverstanden sein, so ist anwaltlicher Rat gefragt. Der Anwalt braucht bei guter Sachkenntnis lediglich eine Kopie des Rezeptes, des Angebotes und der Kassenbewilligung, um kurzfristig eine klare Aussage darüber treffen zu können, ob sich ein Widerspruch hier lohnt oder nicht.

Dieser Rat sollte jedoch relativ zeitnah nach Bewilligung der Kasse eingeholt werden, da ab jetzt Fristen laufen. Bei vorhandener Rechtsmittelbelehrung im Bescheid beträgt diese einen Monat, ohne diese ein Jahr. Diese Erstberatung - ob telefonisch, persönlich oder heutzutage auch via Email-Austausch - sollte in der Regel für den Versicherten unverbindlich und kostenlos sein.

Es ist daher immer ratsam, diesen Punkt vorher mit dem Anwalt abzuklären. Aus meiner Sicht kann ich nicht empfehlen, Vollmachten oder Mandatserteilungen zu unterschreiben, bevor der Rechtsanwalt sich über den Sinn oder Unsinn eines Widerspruchs geäußert hat. Dies ist umso wichtiger, als dass Kosten für das Widerspruchsverfahren in der Regel nicht von einer etwaigen Rechtsschutzversicherung übernommen werden, diese greift zumeist erst ab gerichtlichen Verfahren erster Instanz.

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Herzlichen Dank, Herr Schönfeld, für diese wichtigen Tipps zur Erstattung von Kosten für Haarersatz.

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